“Sehr geehrte Damen und Herren, hier spricht ihr Kapitän. Wir haben soeben den Polarkreis überflogen.” Wahnsinn, so weit nördlich war ich bisher noch nie. Das wird auf jeden Fall eine unvergessliche Reise, da bin ich mir sicher. Die nächste Durchsage aus dem Cockpit holt mich dann leider auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Wetter in Tromsø: Regen bei fünf Grad plus. Das hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Aber wir kommen ja gerade erst an und es kann nur besser werden. Nach einem etwas holprigen Landeanflug laufen wir zu Fuß ins Flughafengebäude, warten an einem Minigepäckband auf unsere Koffer und holen schließlich unseren Mietwagen ab. Den restlichen Tag und die nächste Nacht werden wir in Tromsø verbringen, wo wir nach dem Checkin im Hotel Yvi und ihren Freund treffen.
Nordlichtsafari – Das Abenteuer beginnt
In den letzten Monaten haben wir vier einige Male virtuell zusammengesessen, unsere Nordnorwegenreise geplant und uns auf die gemeinsame Zeit dort gefreut. Und jetzt sitzen wir tatsächlich mit weiteren zehn Personen aus der ganzen Welt in einem Minibus und fahren durch die norwegische Winterlandschaft. Während unser Guide Max ununterbrochen das Wetter und die Nordlichtwahrscheinlichkeit checkt, beginne ich daran zu zweifeln, dass wir erfolgreich sein werden. Eine gefühlte Ewigkeit fahren wir nun schon durch den Schneesturm. Irgendwann lässt Max den Bus anhalten, verschwindet nach draußen und kommt kurz darauf lächelnd zurück. Unsere kleine Gruppe folgt seiner Anweisung, den Bus zu verlassen. Einen Augenblick später stehe ich mitten im Nirgendwo mit Schnee unter den Schuhen und einem sternenklaren Himmel über meinem Kopf. Fix baue ich mein Stativ auf, lasse mir von Max bei den Einstellungen meiner Kamera helfen und stelle erstaunt fest, dass das feine Wolkenband über mir gar kein Wolkenband ist, sondern ein Nordlicht, denn auf dem Display meiner Kamera leuchtet das Gebilde in den schönsten Grüntönen. Wahnsinn!
Wir machen Fotos, schauen im Schnee liegend fasziniert in den Himmel und versammeln uns schließlich um ein Lagerfeuer, über dem wir pølsa og lompe (Würstchen und Fladenbrot) grillen. Etwa zwei Stunden verbringen wir an diesem herrlichen Ort, bevor alle mit einem Strahlen im Gesicht und zahllosen Fotos auf den Speicherkarten wieder in den Bus steigen.
Auf etwa halbem Weg zurück nach Tromsø geben gleich zwei Räder unseres Kleinbusses kurz nacheinander den Geist auf. An Weiterfahren ist nicht zu denken. Wir verlassen den Bus erneut und versammeln uns am verschneiten Straßenrand. Was dann passiert, verdient ein großes Lob. Jeder, der an uns vorbeikommt, hält an und erkundigt sich, ob alles in Ordnung sei oder wir Hilfe bräuchten. Außerdem informiert unser Guide Max sofort seine Kollegen und Kolleginnen, die heute ebenfalls unterwegs sind und fragt ab, ob und wann sie bei uns vorbei kommen und ob sie noch freie Plätze haben. Nach und nach halten Kleinbusse bei uns und sammeln die Mitglieder unserer Gruppe ein. Bis zur Abfahrt vertreiben wir uns die Zeit damit, nach Nordlichtern Ausschau zu halten – den Unterschied zu Wolken erkennen wir mittlerweile ganz gut – und sie zu genießen.
Irgendwann sitzen auch wir in einem wohltemperierten Kleinbus und schaukeln Richtung Tromsø. Seit halb fünf bin ich heute auf den Beinen, um kurz nach drei liege ich im Bett – unglaublich müde aber auch sehr glücklich.
Ein Sturm zieht auf
Die Nacht war viel zu kurz, aber das ist halb so schlimm, denn ab heute steht vor allem Erholung auf dem Programm. Nach einem leckeren Frühstück verstauen wir unser Gepäck im Kofferraum unseres Mietwagens und fahren den nächsten größeren Supermarkt an, um uns für die nächsten vier Tage mit Lebensmitteln einzudecken. Als auch das erledigt ist, geht es weiter zum Fähranleger Belvik, etwa eine halbe Stunde von Tromsø entfernt.
Leider haben wir heute richtiges Mistwetter und als wir aus dem Auto steigen, um uns am Fähranleger noch ein wenig die Beine zu vertreten, müssen wir ganz schön gegen den Wind ankämpfen. Der Blick auf die aufgepeitschte See lässt meine Vorfreude auf die Überfahrt nicht gerade wachsen. Meine Reisegruppe scheint das ganz anders zu sehen.
Die Fähre legt pünktlich an, wir fahren auf das Parkdeck, steigen die Stufen nach oben und schon gehts los. Ich beziehe meinen Platz auf einer der Bänke, schließe die Augen und atme tief durch. In dieser Position überstehe ich die Fahrt erstaunlicherweise ganz gut. Trotzdem bin ich froh als wir eine halbe Stunde später wieder im Auto sitzen und die Fähre verlassen können. Ich wäre dann jetzt wirklich bereit für den erholsamen Teil der Reise.
Die nächsten Tage werden wir auf der kleinen Insel Vengsøy verbringen. Hier leben nur etwa 70 Menschen und die drei hübschen roten Holzhäuser von Maria und Nils – Vengsøy Rorbuer – sind die einzigen Unterkünfte, die an Touristen vermietet werden. Vom Fähranleger ist es nur ein Katzensprung bis zur Unterkunft und der kleine Supermarkt der Insel befindet sich ebenfalls in Sichtweite. Wir werden vom gut gelaunten Nils begrüßt, der uns “unser” Häuschen zeigt und anschließend im Schnee davon stapft, während wir das Gepäck und die Einkäufe in die Unterkunft tragen. Hach, es ist einfach herrlich hier. Der Sturm stört uns jetzt auch nicht mehr, denn wir machen es uns einfach im Wohnzimmer gemütlich, legen die Füße hoch und machen uns Pizza. So zumindest der Plan…
Zunächst scheint unser Plan voll aufzugehen. Wir beziehen unsere Zimmer, schlüpfen in bequeme Kleidung und belagern das Sofa mit Decken, Büchern und guter Laune, während der Sturm um das Haus fegt und ordentlich durchschüttelt. Als sich der Hunger ankündigt, wird fix der Pizzateig belegt und der Backofen vorgeheizt. Und dann wird es plötzlich dunkel. Der Strom ist weg. Kein Licht, kein vorgeheizter Backofen, keine Pizza. Maria informiert uns über Instagram, dass einige Inselbewohner mit dem Boot rausfahren würden, um ein Kabel zu reparieren und sie nicht wisse, wann der Strom wiederkomme. Plan B muss her. Die belegte Pizza wird abgedeckt und auf den Balkon in den Schnee gestellt, Kerzen werden entzündet und die Mägen mit belegten Broten zufriedengestellt. Auch als wir später in unseren Betten liegen, tobt der Sturm weiter. Der Strom ist weiterhin weg und immer wieder geht ein Ruck durch das Holzhaus.
Am nächsten Morgen sieht die Welt schon anders aus. Der Sturm hat sich verzogen und draußen sieht es ganz friedlich aus. Strom haben wir noch immer nicht und über Nacht hat uns auch das Handynetz verlassen. Kurz nach dem Frühstück steht Nils vor unserer Tür, der einen Gaskocher und Kaffee vorbeibringt. Der Strom kommt einige Stunden später gegen Mittag wieder. Heute Abend wird es Pizza geben.
Mit Schneeschuhen auf Abwegen
Maria und Nils verleihen an ihre Mieter auch Schneeschuhe und das lassen sich zumindest drei von uns natürlich nicht entgehen. Drei Anläufe brauchen wir, bis das Wetter gnädig genug mit uns ist und wir es wagen, auf Wandertour zu gehen. Wir laden das Equipment in den Kofferraum und fahren bis fast ans Ende der einzigen Straße auf Vengsøy, was keine fünf Minuten dauert. Maria hatte uns auf einer Karte die drei möglichen Wanderrouten gezeigt und den Tipp gegeben, zwei dieser Touren miteinander zu verbinden.
Wir schnallen uns die Schneeschuhe unter die Schuhe, schultern die Rucksäcke und stapfen los. Gestern hat es noch mal gut geschneit, so dass wir direkt in recht tiefem Schnee unterwegs sind. Die Schneeschuhe sorgen dafür, dass wir nicht zu weit einsacken und dank der dazugehörigen Stöcker halten wir auf dem unebenen Untergrund das Gleichgewicht. An der ersten Abzweigung kommt auch die erste Verwirrung, doch nach einer kurzen Beratschlagung beschließen wir, dass wir eigentlich nur den Weg bergauf nehmen können. Gesagt, getan – im Gänsemarsch schnaufen wir den Hang hinauf und werden oben mit der ersten tollen Aussicht belohnt.
Ab diesem Zeitpunkt sind wir die meiste Zeit damit beschäftigt, auszuloten, wo wir weitergehen sollten. Ein Weg ist nicht zu erkennen und auch unser Zwischenziel, die Grillhütte Gammen, können wir von hier aus nicht sehen. Sie muss hinter einem der Hügel liegen. Über die grobe Richtung sind wir uns einig, also stapfen wir weiter durch den Schnee. Mittlerweile kommt erschwerend hinzu, dass das Wetter alle zehn Minuten umschlägt. Kaum lassen Wind und Schnee nach, schiebt sich schon die nächste graue Wolkenwand von rechts auf uns zu. Uns bleiben also etwa zehn Minuten Ruhe, bis uns wieder der Schnee um die Ohren geweht wird.
Irgendwann kommen wir an den Punkt, an dem wir absolut nicht mehr wissen, wo wir weitergehen sollen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wandern wir rechts weiter den Berg rauf – ohne zu wissen, ob wir dort dann einen Weg nach unten zur Hütte vorfinden – oder wir steigen links zwischen den Bäumen den recht steilen Hang hinunter. Wir entscheiden uns für die zweite Variante und tasten uns vorsichtig vor. Wir kommen tatsächlich heile unten an und legen die letzten Meter zur Hütte zurück, wo wir uns auf die Holzbänke plumpsen lassen, unseren Proviant verputzen und ein Feuer machen. Zumindest ein kleines.
Da wir nicht besonders talentiert sind, was das Feuermachen angeht, kriecht die Kälte bald in uns hinein und wir beschließen, weiterzugehen. Der Weg von der Hütte bis zu unserer Unterkunft ist mit roten Stöcken markiert, so dass wir ab hier keine Probleme mehr haben, dem richtigen Weg zu folgen.
Zurück in der Zivilisation
Der Abschied von der Insel Vengsøy und “unserem” roten Holzhäuschen fällt uns allen schwer. Doch immerhin müssen wir uns noch nicht von Norwegen verabschieden. Die letzten beiden Tage auf unserer Reise verbringen wir in Tromsø. Eigentlich war für den vorletzten Tag eine Hundeschlittentour geplant. Die muss aber leider aufgrund des Wetters abgesagt werden. Die Fahrt mit der Seilbahn auf den Storsteinen inklusive Panoramablick auf das beleuchtete Tromsø und die Fjorde trösten ein wenig über die abgesagte Tour hinweg. Und so haben wir einen Punkt mehr auf der unglaublich langen Liste mit Gründen, noch einmal wiederzukommen…