Vor knapp über 30 Jahren war ich das erste Mal auf dem Brocken. Letztes Jahr habe ich meine erste Brockenwanderung im Schnee erlebt. Und kürzlich ging es für mich das erste Mal mit der Brockenbahn auf den höchsten Berg im Harz. Doch das war nicht die einzige neue Brockenerfahrung, denn wir haben die Nacht im Brockenhotel verbracht und sind erst am nächsten Vormittag wieder zurück in die Zivilisation gefahren.
Die Sonne scheint und es ist angenehm warm, als wir am späten Mittag am Bahnhof der Harzer Schmalspurbahn in Wernigerode ankommen. Die Waggons stehen bereits am Gleis, fehlt nur noch die Lok. Die kommt wenig später dampfend und schnaufend um die Ecke und wird mit einem leichten Ruck vorne an den Zug gekoppelt. Jetzt geht es jeden Moment los, also klettern wir auf die Plattform des letzten Waggons, stellen unser Gepäck nach drinnen und uns anschließend wieder auf die Plattform. Da für uns heute zwar Feiertag ist, in Sachsen-Anhalt und drumherum jedoch nicht, haben wir den letzten Waggon fast für uns allein und auch der Rest des Zuges ist nicht überfüllt.
Zur Abfahrt ertönt ein Pfiff, die Dampflok antwortet mit einem Tuten und setzt sich ruckend in Bewegung. Das Bahnhofsgebäude und die winkenden, am Bahnsteig zurückgebliebenen Menschen werden kleiner und verschwinden schließlich, während wir durch Wernigerode fahren. Nach drei weiteren Halten an kleinen Bahnhöfen der Stadt – sogar die Hochschule hat ihren eigenen Bahnhof – ändert sich unsere Umgebung. Wir verlassen das Stadtgebiet und tauchen in die Natur ein. Unser Zug schlängelt sich durch den Wald, passiert einen kurzen Tunnel und arbeitet sich stetig den Berg hinauf.
Am Bahnhof von Drei Annen Hohne wird unsere Lok noch einmal mit Wasser betankt, während einige den längeren Aufenthalt nutzen, um sich ebenfalls mit Getränken oder einer Bratwurst zu versorgen. Wir sind auch nicht der einzige Dampfzug, der hier neue Passagiere und Wasser aufnimmt, denn von Drei Annen Hohne geht es nicht nur weiter auf den Brocken oder zurück nach Wernigerode. Es besteht die Möglichkeit, von hier bis nach Nordhausen mit der Harzquerbahn oder nach einem weiteren Umstieg bis nach Quedlinburg mit der Selketalbahn zu fahren.
Die Lok ist betankt, alle Passagiere sind wieder an Bord – es kann weiter gehen. Jetzt befinden wir uns auf dem Streckenabschnitt der Brockenbahn. Während sich die Lokomotive am vorderen Ende des Zuges dampfend und qualmend den Berg hocharbeitet, genießen wir von der Plattform des letzten Waggons weiterhin die Aussicht und lauschen dem Rattern der Räder auf den Schienen. Hin und wieder queren Wanderwege die Schienen. Dann kündigt die Lok unser Kommen mit einem langgezogenen Tuten an, was meistens dazu führt, dass Wanderer auf den umliegenden Wegen stehenbleiben und uns lächelnd zuwinken.
Unser letzter Zwischenhalt ist Schierke. Während wir auch hier noch einmal Wasser nachtanken, muss ich automatisch daran denken, wie mein Vater vor etwa dreißig Jahren durch den Ort geirrt ist und den Bahnhof gesucht hat. Meine Schwester und ich wollten damals beim Anblick des Dampfzuges natürlich unbedingt damit fahren. Also ist meine Mutter mit uns in Drei Annen Hohne in den Zug gestiegen. Mein Vater ist mit dem Auto nach Schierke gefahren, um uns dort wieder einzusammeln. Der Bahnhof der Harzer Schmalspurbahn befindet sich allerdings nicht im Ort sondern liegt mitten im Wald. Und scheinbar war er damals nicht gut ausgeschildert, Handys gab es auch noch nicht.
Als wir unterhalb des Brockengipfels auf den Goetheweg treffen, hält unser Zug an, lässt die Weiche durch eine Schaffnerin umstellen und fährt anschließend langsam auf ein Abstellgleis. Hier warten wir auf den entgegenkommenden Zug, der nach wenigen Minuten tutend an uns vorbei rattert. Auch unser Zug setzt sich wieder ruckend in Bewegung, sammelt die Schaffnerin wieder ein und macht sich auf den Weg zum Zielbahnhof. Normalerweise gehöre ich zu den Menschen, die auf dem Goetheweg stehen und den vorbeifahrenden Dampfzug fotografieren. Ich muss sagen, dass es auch ganz schön ist, einmal selbst an den begeisterten Wanderern vorbeizufahren.
Dort wo die fleißigen Fußgänger vom Goetheweg auf die Brockenstraße abbiegen, trennen sich unsere Wege wieder. Wir fahren in einem großen Bogen um den Gipfel herum und erreichen kurze Zeit später den Brockenbahnhof auf 1.142 Metern. Ich kann mir Zahlen übrigens sehr schlecht merken, aber diese hier habe ich seit der Grundschule nicht vergessen (obwohl es mittlerweile nur noch 1.141 Meter sind…). Wir holen unser Gepäck aus dem Waggon und spazieren die wenigen Meter bis zum Brockenhotel.
Nachdem wir unser Zimmer in der sechsten Etage des ehemaligen Fernsehturms bezogen haben, vertreten wir uns ein wenig die Beine. Natürlich darf das obligatorische Foto vor dem Brockenstein am höchsten Punkt des Berges nicht fehlen. Im Gegensatz zu unserem letzten Besuch im Winter 2022 ist das heute auch in aller Ruhe möglich. Viel los ist hier heute wirklich nicht. Anschließend spazieren wir auf dem 1 Kilometer kurzen Brockenrundweg um das Gipfelplateau, genießen die Aussicht und lesen die interessanten Informationstexte über Flora und Fauna.
In der gemütlichen Hexenklause im siebten Stock des Hotels stärken wir uns später mit Harzer Spezialitäten und bekommen erst gar nicht mit, dass das Wetter umschlägt. Noch während wir beim Essen sitzen, fängt es an zu regnen. Das könnte schwierig werden mit dem Sonnenuntergang heute. Zum Glück zieht der Regen der untergehenden Sonne quasi hinterher, so dass wir zumindest ein bisschen was zu sehen bekommen. Außerdem müssen wir nicht draußen im Regen stehen sondern können die Aussichtsplattform in der achten Etage nutzen, zu der alle Hotelgäste Zugang haben.
Optimistisch stellen wir uns den Wecker auf Viertel vor fünf, um den Sonnenaufgang miterleben zu können. Doch das hätten wir uns leider sparen können. Ganz kurz können wir einen Blick auf die Sonne werfen, bevor sie direkt hinter den Wolken verschwindet. Also fix wieder ins Bett und noch ein wenig schlafen, bevor der Wecker dann zum zweiten Mal klingelt. Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen zusammen, checken aus und setzen uns an den Brockenbahnhof. Die beiden Bahnen, die ankommen, sind schon gut gefüllt. Das gilt zum Glück nicht für unseren Zug zurück nach Wernigerode. Und so verbringen wir auch die Rückfahrt fast durchgängig draußen auf der Plattform. Dieses Mal direkt hinter der Lok.
Auch wenn es ein richtig schönes Erlebnis war und wir die Fahrt durch den Harz genossen haben, möchte ich nicht unerwähnt lassen, wie erschreckend es immer wieder ist, die vielen toten Bäume zu sehen. Durch die Trockenheit und den Borkenkäfer hat sich die Natur sehr verändert und es kommt außerdem vermehrt zu Waldbränden. Auf dem Weg zum Gipfel sind wir an zwei Stellen vorbeigekommen, an denen im letzten Jahr und auch erst kurz vor unserer Brockenfahrt Feuer gewütet haben – und zwar großflächig.